Falsche Diagnose in Patientenakte: Wie kann man Fehldiagnosen löschen lassen?
Falsche Diagnosen in der Patientenakte können den Wechsel in eine private Krankenversicherung wie den Abschluss einer Berufs- bzw. Dienstunfähigkeitsversicherung erschweren oder sogar unmöglich machen. Doch kann man die fehlerhaften Diagnosen löschen lassen? Und sollte man seine Krankenakte überhaupt einsehen, bevor man eine Versicherung abschließt?
Das Wichtigste auf einen Blick:
- Alle Vorerkrankungen, Beschwerden und bekannten Diagnosen müssen vor Abschluss einer Privaten Krankenversicherung oder Dienstunfähigkeitsversicherung im Gesundheitsfragebogen angegeben werden.
- Problem: Nicht immer wissen Versicherungsnehmer über die Diagnosen in ihrer Patientenakte Bescheid, da viele Ärzte falsche Diagnosen abrechnen, ohne ihre Patienten darüber zu informieren.
- Patienten mit Fehldiagnosen bekommen oft keine angemessene Versicherung mehr – es sei denn, sie haben bei Vertragsabschluss keine Kenntnis von den Diagnosen. Daher raten viele Berater davon ab, sich die Patientenquittung anzusehen.
Hintergrund: Bekannte Diagnosen müssen bei Versicherungsabschluss angezeigt werden
Vor dem Abschluss einer Privaten Krankenversicherung (PKV) oder einer Dienstunfähigkeitsversicherung (DU) verlangt jeder Versicherer die Beantwortung bestimmter Gesundheitsfragen. Das ist vollkommen üblich und dient dazu, dass die Versicherungsgesellschaft das gesundheitliche Risiko und die zukünftig entstehenden Kosten für seine neuen Kunden abwägen kann. Menschen mit chronischen Leiden und Vorerkrankungen – sei es Asthma, Diabetes oder eine Gelenkerkrankung – werden eine private Krankenversicherung im Laufe der Jahre natürlich um ein Vielfaches mehr kosten als ein Kunde, der in den letzten fünf Jahren keine Erkrankungen, Beschwerden und Behandlungen hatte.
Bestimmte Diagnosen in der Krankenakte führen zur Ablehnung bei PKV und DU
Um ihr finanzielle Risiko zu minimieren, erheben Versicherungsgesellschaften bei gewissen vorangegangenen Diagnosen hohe Risikozuschläge oder schließen die Kostenübernahme für bestimmte Behandlungen vertraglich aus. Antragsteller mit schweren Vorerkrankungen wie auch mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen werden in der Regel gänzlich abgelehnt, da die Kosten für die Versicherungen unkalkulierbar sind.
Daher gilt für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung wie bei einer privaten Zusatzversicherung und einer Berufs- oder Dienstunfähigkeitsversicherung die vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 des Versicherungsvertragsgesetzes:
(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. …
und weiter:
(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.
Verschweigt man seine Vorerkrankungen bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen oder macht fehlerhafte Angaben, kann das also schwerwiegende Folgen für den Versicherungsschutz haben. Denn kommt es zu einem Leistungsfall, kann der Versicherungsgesellschaft auf Verdacht Einsicht in die Patientenakte nehmen. Stellt der Versicherer fest, dass bereits vor Vertragsabschluss Diagnosen abgerechnet worden sind, die mit dieser Erkrankung zusammenhängen, hat die Gesellschaft das Recht, den Vertrag außerordentlich zu kündigen. Auf den Arzt- und Behandlungskosten bleibt der Kunde dann restlos sitzen und auch die zuvor bezahlten Beiträge werden nicht zurückerstattet. Doch was passiert, wenn die Versicherung Diagnosen in der Krankenakte findet, von denen man selbst gar nichts wusste? Dazu weiter unten im Text mehr.
Fehldiagnosen: Ärzte rechnen bewusst falsche Diagnosen und Leistungen ab
Falsche Diagnosen in der Patientenakte sind leider ein großes Problem. Wir haben bereits an verschiedenen Stellen darüber berichtet – nachzulesen und zu hören unter anderem in der Welt am Sonntag, in unserem Gastbeitrag in der Pfefferminzia wie auch in dem dazugehörigen Podcast. Kurz zusammengefasst: Ärzte bekommen durch unser Gesundheitssystem leider finanzielle Anreize, geldbringende und bei den Krankenkassen „begehrte“ Diagnosen häufiger abzurechnen. Wie oft das passiert, kann niemand so genau nachvollziehen. Erstens fehlende umfassende Kontrollen, zweitens fallen Falschdiagnosen bei lebenslang gesetzlich Versicherten selten auf.
Ans Tageslicht kommen diese Phantomdiagnosen meist erst, wenn Patienten in Erwägung ziehen, in die Private Krankenversicherung zu wechseln, eine private Zusatzversicherung oder eine Dienstunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Fordern sie in diesem Zuge ihre Patientenakte bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse an, um die Gesundheitsfragen so genau wie möglich zu beantworten, ist die Überraschung oft groß. Und da man nun Kenntnis über all seine Diagnosen hat, ist man auch verpflichtet, diese gegenüber der neuen Versicherung anzuzeigen (siehe oben).
Tauchen Fehldiagnosen auf, hat der Versicherungsnehmer meist schlechte Karten beim Abschluss einer PKV oder DU. Denn erfahrungsgemäß handelt es sich bei Fehldiagnosen um schwerwiegende, chronische Erkrankungen wie psychische Krankheiten oder Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems – diese bringen den Ärzten bei der Abrechnung mehr Geld ein. Da der Versicherungsnehmer aber nur die ihm bekannten „Gefahrumstände“ nennen muss, fragt man sich zurecht, ob man sich seine Krankenakte überhaupt ansehen sollte. Diese Frage beantworten wir unten ausführlicher.
Beispiele aus der Praxis: Patienten mit erfundenen Diagnosen bekommen keine angemessene Versicherung mehr
Falsch abgerechnete Diagnosen zerstören die Chancen junger, gesunder Menschen auf eine gute und bezahlbare PKV oder Dienstunfähigkeitsversicherung. Immer häufiger kommen junge und vermeintlich gesunde Menschen zu uns, die vor Antragstellung gewissenhaft ihre Patientenakte angefordert haben und mit Erschrecken feststellen, dass darin Diagnosen abgerechnet wurden, die in der Realität nie gestellt wurden.
Zum Beispiel hat eine unserer Kundinnen online Einsicht in ihre Patientenakte genommen und musste feststellen, dass ihre Frauenärztin bei mehreren Arztbesuchen eine psychische Belastungsstörung diagnostiziert und abgerechnet hat. Diese Falschdiagnose hat nun fatale Folgen, denn unsere Kundin wird damit bei keiner privaten Krankenzusatzversicherung angenommen. Leider ist die Gynäkologin nicht bereit, ihre Falschdiagnose zu korrigieren, da sie nach eigener Aussage diese Belastungsstörung – Zitat – „in dem Moment als solche bei der Patientin empfunden hat.“ Somit steht unserer Kundin ein langer Rechtsstreit bevor, um die falsche Diagnose löschen zu können. In einigen Fällen kann man diesen nerven- und zeitraubenden Weg aber vermeiden und Fehldiagnosen aus der Krankenakte entfernen lassen. Mehr dazu weiter unten im Beitrag.
Ein weiteres Beispiel: Ein Student hat während eines Aufenthalts in einer anderen Stadt eine ihm fremde Hausarztpraxis aufgesucht. Er erhielt eine Krankschreibung mit der Diagnose J98.9 G „sonstige Krankheiten der Atemwege“. Als er zwei Jahre später Einsicht in seine Krankenakte nahm, entdeckte er an genau diesem Termin von der besagten Praxis eine weitere abgerechnete Diagnose mit dem Code F43.2, welche für eine Anpassungsstörung steht. Bei den sogenannten „F-Diagnosen“ handelt es sich immer um psychische Krankheiten und diese sind in aller Regel ein sicherer Ablehnungsgrund für Versicherungsgesellschaften.
Kann man eine falsche Diagnose in der Patientenakte löschen lassen?
Grundsätzlich ist es möglich, fälschlicherweise abgerechnete Diagnosen in der Krankenakte löschen bzw. korrigieren zu lassen. Einige gesetzliche Krankenkasse bieten sogar online Vordrucke mit entsprechendem „Antrag auf Korrektur einer falschen Diagnose“. Die Unkorrektheit der Diagnose muss jedoch mit einem ärztlichen Attest belegt werden. Um nicht den umständlichen Weg über einen langwierigen Rechtsstreit gehen zu müssen, ist ein vertrauensvolles Verhältnis zu dem behandelnden Arzt von Vorteil. Das sollte man nicht aufs Spiel setzen, indem man direkt mit einem Betrugsvorwurf ins Haus fällt. Aus unserer Erfahrung (und nach gesundem Menschenverstand zu urteilen,) gibt kein Mediziner freiwillig zu, dass es sich bei seiner falsch gestellten Diagnose um Abrechnungsbetrug handelt. Natürlich kann es sich bei einer fehlerhaften Diagnose auch um ein Versehen wie einen Zahlendreher in der Codierung oder eine versehentlich falsche Interpretation der Symptome handeln.
Wenn man seinem Arzt mit Verständnis und ohne Vorverurteilung begegnet und seine prekäre Situation schildert, kommt man in der Regel besser und einfacher zum Ziel. Schildert man dem Arzt oder der Praxis z.B. die Sachlage, dass man mit dieser Diagnose keine adäquate PKV oder DU abschließen kann oder sogar von der gewünschten Versicherung abgelehnt wird, sind viele Mediziner einsichtig. Einige lassen sich darauf ein Attest zur Richtigstellung der falschen Diagnose auszustellen, andere erstellen ein Attest zur Vorlage bei dem zukünftigen Versicherer, in welchem vermerkt wird, dass sich „der Verdacht der Diagnose nicht bestätigt“ hat und der Patient dauerhaft beschwerdefrei ist. Auch hier ein Beispiel:
Was, wenn mein Arzt sich weigert, seine falsche Diagnose zu korrigieren?
Es gibt allerdings auch Ärzte, die sich ertappt und angegriffen fühlen, werden sie mit ihren offensichtlich falsch abgerechneten Diagnosen konfrontiert. Auch das haben viele unserer Kunden bereits erlebt. Wenn sich der behandelnde Arzt querstellt und seinen Fehler nicht einsieht, gibt es noch eine weitere Möglichkeit, eine falsche Diagnose korrigieren zu lassen: durch ein gegenteiliges Attest eines anderen Arztes. Bei „offensichtlichen“ Erkrankungen wie bei einer Gelenkverletzung oder einem Bandscheibenvorfall kann jeder andere Facharzt, beispielsweise mit einer Röntgenaufnahme überprüfen, ob die zuvor gestellte Diagnose wirklich korrekt ist. Stellt sich heraus, dass der Patient in diesem Bereich keinerlei Beschwerden hat, kann er dies problemlos beweisen und richtig stellen. Problem: Bei psychischen Leiden funktioniert das nicht. Ob z.B. zum besagten Zeitpunkt eine psychische Anpassungs- oder Belastungsstörung vorgelegen oder der Patient den Eindruck vermittelt hat, kann man ein oder zwei Jahre später nicht mehr überprüfen. Hier steht Aussage gegen Aussage.
Sollte man vor Abschluss eines Versicherungsvertrages überhaupt seine Patientenakte anfordern?
Kommen wir auf die Tatsache zurück, dass nach dem Gesetzestext der Kunde den Gesundheitsfragebogen nur nach bestem Wissen und Gewissen beantworten muss (siehe oben). Also muss er nur die Diagnosen mitteilen, über die er auch Kenntnis hat. Der Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, vor Vertragsabschluss seine Patientenakte durchzusehen. Fordert der Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss jedoch Informationen von seinem behandelnden Arzt an und erfährt er von Diagnosen, die ihm davor nicht bekannt waren, wandelt sich die zuvor bestehende „fahrlässige Unkenntnis“ in eine positive Kenntnis um. Viele Versicherungsberater und -makler raten ihren Kunden sogar gänzlich davon ab, die Krankenakte einzusehen und damit „schlafende Hunde zu wecken“. Denn:
Nach einem BGH-Urteil (vom 25.09.2019, Az.: IV ZR 247/18) kann dem Kunden keine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung gemäß § 19 VVG vorgeworfen werden, wenn dieser seinem Versicherungsberater alle Informationen gemäß seinem damaligen Kenntnisstand zur Verfügung gestellt hat. Taucht bei einer zukünftigen Leistungsprüfung eine Diagnose auf, die dem Kunde nicht bewusst war, hat der Versicherer nicht automatisch das Recht, die Vertragsbedingungen rückwirkend zu ändern. Die Versicherung steht in der Beweislast, müsste also nachweisen, dass der Kunde schon vor Vertragsabschluss Kenntnis von dieser Diagnose hatte. Sollte man dann nicht besser darauf verzichten, seine Patientenquittung einzusehen?
Wir sehen die Angelegenheit etwas differenzierter. Wer die Gesundheitsfragen des zukünftigen Versicherers nicht sicher beantworten kann – z.B. nicht mehr genau weiß, welche Diagnosen er bei seinen Arztbesuchen bekommen hat oder wie lange er mit welchen Beschwerden krankgeschrieben war – der sollte sich besser seine Patientenquittung anfordern und nachsehen. In diesem Fall ist Vorsorge besser als Nachsorge. Wenn ein Kunde jedoch seine Diagnosen kennt oder weiß, dass seine Arzttermine in den letzten Jahren nur aus routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen wie Prophylaxe oder Ähnlichem bestanden, dann ist es auch aus unserer Sicht nicht nötig, die Patientenakte vor Vertragsabschluss einzusehen.
Fazit: Fehldiagnosen in der Patientenakte und der Weg zur gewünschten Versicherung
Hat man seine Patientenquittung bereits angefordert, eingesehen und sind in diesem Zuge fehlerhafte Diagnosen aufgetaucht, muss man den zukünftigen Versicherer darüber in Kenntnis setzen. Um falsche Diagnosen aus der Krankenakte zu löschen, bedarf es ein wenig Geduld und Feingefühl, indem man seinem Arzt im Idealfall sein Anliegen ausführlich schildert und höflich um ein Korrekturschreiben bittet. Einige Kassen stellen dafür Anträge bereit, was den entscheidenden Schritt für den behandelnden Arzt vereinfacht. Alternativ ist es bei vielen Fehldiagnosen (die nicht psychische Erkrankungen betreffen) möglich, sich von einem zweiten Arzt ein Attest zur Richtigstellung ausstellen zu lassen.